Tscheluskinskaya

Für unser Moskauer Symposion organisiert V. Lukin Ateliers und Unterkunft im Künstlerhaus Tscheluskinskaya. Dort arbeitete er schon zuvor als Lithographiedrucker. Künstlerhäuser werden vom Russischen Künstlerverband betrieben. Verbandsmitglieder können dort zwei Monate z.T. kostenlosarbeiten. Dort ist für alles gesorgt; von Unterkunft, Verpflegung, Atelierplätzen, Werkstätten, Bibliothek bis zu Freizeitangeboten. Mit dem Zerfall
des Systems gerät auch der Künstlerverband in Existenznot - nicht nur aber vor allem durch finanzielle Schwierigkeiten. Nach unserem Aufenthalt in Tscheluskinskaya sollte auch dieses Künstlerhaus privatisiert bzw. vorerst geschlossen werden.

 

 

Moskau, Mai bis Juli 1991, das sowjetische Imperium liegt in den letzten Zügen, als wir, Karin Hinterleitner und Rolf Nikel, zum ersten Mal dorthin kommen. Wir sind als

Austauschstudenten am Surikov-Institut, das mit der Stuttgarter und Karlsruher Akademie jährlich ein Austauschprogramm, organisiert vom Verein Künstlerwege e. V.,veranstaltet. Am Surikov-Institut werden Malerei und Bildhauerei akademisch, konservativ, im Stil des 19. Jahrhunderts gelehrt.

In dieser Zeit findet eine interessante Ausstellung in der Tredjakovgalerie mit dem Titel "Moderne Künstler zu Malevitsch" statt. Dort fallen uns die Beiträge von Viktor Lukin und Dimitri Dukov auf, die wir daraufhin persönlich kennenlernen. Diese zwei Künstler vermitteln uns im Gegensatz zu dem einseitigen Programm des Surikov-Instituts einen Einblick in die russische Avantgarde. Unter dem Begriff Avantgarde versteht man heute in Russland alle Künstler, die jenseits des am Surikov und anderen Instituten vermittelten traditionellen Kunstbegriffs arbeiten.

Bei unseren Begegnungen und Diskussionen entsteht die Idee eines Symposions: 1992 in Moskau. sowie 1993 in Stuttgart.

Uns steht dort je eine gut ausgestattete Lithographie- und Radierwerkstatt zur Verfügung. Wir arbeiten auch in den geräumigen Einzelzimmern, die dafür mit Arbeitswand und Schreibtisch eingerichtet sind. Außerdem hat jedes Zimmer einen Balkon zur Gartenseite. Die ruhige Arbeitsatmosphäre wird von unserer Gruppe, wir und zwanzig andere russische Künstler, intensiv genutzt. Der Tagesablauf ist durch feste Essens- und Werkstattöffnungszeiten geordnet. Er entspricht einem "normalen" Arbeitstag. Allgemein wird der Künstlerberuf in Russland eher als Handwerk angesehen.

Tula

Tula, eine Großstadt 200km südlich von Moskau, besitzt eines der bedeutenden Kunstmuseen Russlands. Dort organisierte D. Dukov für uns eine Ausstellungsmöglichkeit. Nachdem wir die vorherige Ausstellung selbst abgehängt und die störenden Stellwände entfernt haben, entpuppen sich die drei

Säle als gute Ausstellungsräume. Der erste Saal beginnt mit der Installation "cosmic invasion" von D. Dukov. Im mittleren Saal stellt K. Hinterleitner aus.
Im dritten Saal installiert V. Lukin seine Bodenskulptur, an den Wänden Gemälde von R. Nikel.

 

Stuttgart 1993

Nach unserer Ausstellung in Tula 1992 startet R. Nikel seine einjährige Sibirienreise.K. Hinterleitner beginnt in Stuttgart das Gegensymposion zu organisieren.Als Arbeits-und Ausstellungsort bietet sich die Galerie 103 an, denn sie plant über den Sommer '93 ein Ausstellungsprogramm mit offenem Atelier und Veranstaltungen in den Galerie-räumen. Das kommt uns entgegen, da wir ein Programm mit Videoabenden, Diavorträgen u. a. veranstalten möchten.

Unser Programm sieht vor, daß jeder von uns sechs die Galerie für Einzelprojekte nutzen kann.Nach W. Surikov veranstaltet R. Nikel seine Sibirische Woche. Er dokumentiert seine Arbeiten, die er während seiner Sibirienreise realisiert hat mit Fotos, Frottagen und Kopien. Im ersten Raum zeigt R. Nikel seine Reise ais Matrose auf dem Frachtschiff "Sibirsky 2105" u.a. mit Fotos

seiner Eisskulptur auf dem Deck und seiner Performance im Polarmeer. Im zweiten Raum gestaltet er eine "Propagandawand" mit Originalplakaten, durchsetzt mit Fotos von Alltagsszenen in Russland. Begleitend dazu hält R. Nikel drei Diavorträge:

-"Einführung in die Russische Kunst"

-"Nordostsibirien"

-"Zentralsibirien"

Ausstellung

Die Endausstellung beginnt vor der Galerie auf dem Gehsteig mit R. Nikels Arbeit, "Moskau - Stuttgart". Das etwa 20m lange Gemälde auf Papier bearbeitet er mit demselben Motorrad, mit dem er einen Monat zuvor von Moskau nach Stuttgart zurückgefahren ist. Leider muss die Arbeit nach vier Tagen auf polizeiliche Anordnung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses entfernt werden. Im Schaufenster: "Arbat", ein Gemeinschaftsprojekt von den Dukovs. Der Arbat ist die Fußgängerzone Moskaus, wo Kunsthandwerk und Souvenirs an Touristen verkauft werden. Aus kritischer Distanz zu seinen älteren Arbeiten stellt A. Dukov Ölbilder, die er von seinem Galeristen in Frankfurt zurückbekommen hat, in dem Kontext Arbat aus. Außerdem stapeln die Dukovs ihre Graphiken arbatgemäßvor das Schaufenster.

Vielleicht würde sich so doch ein Käufer finden? Daneben stellt D. Dukov seine "cosmic-sound-box" aus. Diese besteht aus einem vorgefundenen Inventar der Galerie, das er bemalt und den Radionullton aussenden lässt. Weitere kosmische Objekte D. Dukovs befinden sich in der Badewanne. Für D. Dukov ist, es programmatisch, Fundstücke in kosmische Objekten zu transformieren. K. Hinterleitner zeigt Kopien der vier Interviews und daneben Arbeiten auf Papier Sie kombiniert Fotographien von Moskauer Schaufenstern mit Zeichnungen. Im Gang sind R. Nikels „sibirische Jagdtrophäen“ ausgestellt. W. Surikov arrangiert seine Folien und Acryiglasikonen in der Küche und im hinteren Raum. Dort hängen ebenfalls Druckgraphiken und zwei Reliefskulpturen aus Pappe von V. Lukin.