KörperZeichen im Raum im Museum Kunst + Wissen Diessenhofen
Vernissagerede am 13.12.2015
Rolf Nikel: KörperZeichen im Raum im Museum Kunst + Wissen Diessenhofen
von Helga Sandl
KörperZeichen im Raum
sehen wir heute von Rolf Nikel. Schon hier im ersten Raum erkennt man, dass der Künstler in anderen Dimensionen denkt und arbeitet. Seine Werke nehmen Raum ein, sie sind Abdruck und Ausdruck seines Körpers, der sich im Raum bewegt und so seine Spuren hinterlässt. Nikel geht auf Elementares zurück und der Körper selbst wird ihm zum Mal- und Zeichenwerkzeug. Der Künstler verfolgt ferner ein Konzept, in welchem die
Einfachheit der Mittel, die reduzierte Formensprache und der modulare Aufbau weitere Grundlagen sind. Nikel beschränkt sich also ganz bewusst und erlangt durch die Reduzierung eine Konzentration auf etwas ihm Wesentliches.
Hier im Eingangbereich sehen wir Kompositionen aus Radierungen. Sie bestehen aus einzelnen Elementen, wie Kreis, Röhrensegemente, Stämmen oder auch Spiralen, die er zu einem Ganzen zusammenfügt. Eine Art Modulsystem kommt hier zur Anwendung. Je nach Raum, je nach Wandgrösse werden diese Kompositionen verändert, passen sich den Gegebenheiten an.
Aus Papier entstehen teils grossformatige, teils auch kleinere Werke, mit denen der Künstler sich mit dem Thema der Bewegung auseinandersetzt.
Er lässt Richungskräfte an einem Punkt zusammentreffen, er simuliert Mechanische Antriebe, er simuliert Rotationen, er baut Spannung auf und umkreist eine Form oder lässt durch die horizontale Bewegung eine Art Säge- und Pendelbewegung entstehen. ein Gegen und ein Wider, ein Hin und Her, ein Ziehen und ein Drehen: Nikel gestaltet Bewegungsmomente.
Auch in den oberen Räumen der Wechselausstellung bleibt Rolf Nikel dem Material Papier treu. Auch bleibt er der Zweidimensionalität treu und lotet aus, wie weit er in die dritte Dimenison vorstossen kann. Und er macht es sich nicht gerade leicht dabei, denn er nimmt sich die Form des Quadrates vor. Das Quadrat ist Sinnbild für Gleichförmigkeit, Ruhe, Ausgeglichenheit, aber auch Strenge. Es ist ein starkes Symbol für Ordnung und Festigkeit. eigentlich der Gegensatz zur Bewegung.
Viele Künstler vor ihm haben sich das Quadrat zum Ausgangspunkt oder Ziel ihrer Kunst auserkoren. Wir denken z.B. an Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat, an den Konstruktivismus, an die Zürcher Konkreten oder an die Minimal Art. Das Quadrat ist ein Paradigma der Modernen Kunst geworden. Unzählig sind die Bezugnahmen.
Es ist eine Herausforderung, sich vor dem Hintergrund dieser wahnsinnigen Geschichte sich mit dem Quadrat zu beschäftigen, nicht davor zurück zu schrecken und die Möglichkeiten für sich neu auszuloten, die Grenzen selbst abzutasten und zu überschreiten.
Worum geht es Rolf Nikel in seiner Konzentration auf das Quadrat?:
Sicher scheint zu sein, dass Rolf Nikel auf dem Gebiet des Gegenstandlosen arbeitet.
Er arbeitet in Serien und erschließt mit einfachen Mitteln, mit kleinsten Veränderungen eine Vielfalt an Variationsmöglichkeiten. Die serielle Vorgehensweise, die minimale Veränderung teilt er mit den Konstruktiven, den Konkreten. Im gleichen Moment aber widerspricht er in seiner Art und Weise der Auseinandersetzung den strengen Regeln, den exakten Vermassungen, den geraden Linien, allen mathematisch berechenbaren Anwendungsformeln Er setzt an ihre Stelle die Bewegung. Es ist sein Körper der Raum greift, beim Malen ist er ganz Kopffüßler, Die Schrittlänge ist die maßgebende Einheit der quadratischen Grundform. Der Körper selbst ist das Mass, wenn er Gitterstrukturen und Netzte entwirft, wenn er seine Kreise und Bogenformen mit Eitempera zieht. Seine Fußabdrücke sind sichtbar, die Zehen geben den Abstand der Linien vor, die eigene Beweglichkeit, das Balance halten, der Moment, wann das Gewicht von einem auf den anderen Fuß verlagert werden muss, um nicht umzufallen, die Drehung des Körpers, da wo er eine andere Richtung einschlagen muss, um im Quadrat zu bleiben, und sich knotige Ankerpunkte bilden - all diese Bewegungsmomente, das Stillhalten und Weiterziehen, der gesamte Ablauf ist in seinen Objekt-Bildern sichtbar. Eingesperrt und beengt ist sein Körper bei der Arbeit, er kontrolliert seine Bewegungen, er hält sich an die Begrenzungen und läuft in diesem Karre sein eigenes Koordinatensystem ab.
Dann arbeitet nach, verdichtet mit Glanzruß und schneidet seine Strukturen aus dem Papier heraus. Manchmal scheinen sich seine Arbeiten nach außen zu wölben, Manchmal wirken sie wolkig leicht, ein anderes Mal gefasst und massiv durch die Dichte der Struktur, durch das Netz aus Linien, durch die Überkreuzung der Wege. Er geht den Weg des Widerstandes, des Widersprüchlichen.
War es bei Malewitsch, der Versuch, die Kunst vom Gewicht der Dinge und der Autorschaft zu befreien, so ist es bei Rolf Nikel der Versuch der abstrakten Kunst die Last des eigenen Körpers und seine Hand- und Fußschrift wieder einzuschreiben. Ob leichtfüßig oder schwermütig, welchen Ausdruck seine Füße auch immer zuwege bringen, das Bild ist Ausdruck und Abdruck, Spur dieser gewichtigen menschlichen Bewegtheit. Rolf Nikel macht den Kontrast zwischen dem Blatt Papier und dem, was darauf und damit geschieht, dahinter oder davor, er macht den Kontrast zwischen der Flachheit des Papieres und der dreimdimensionalen Wirkung des fertigen Bildes für uns erfahrbar. Die Bild-Objekte und Objekt-Räume von Rolf Nikel schwanken zwischen der Stabilität der Form und der Labilität des Materials, sie fluktuieren zwischen der Bewegung und dem fertigen doch nie stillstehenden Bild-Objekt und bringen letztlich die Form selbst aus ihrem Gleichgewicht.
Zwei oder mehrere Ebenen aus Papier hängt Rolf Nikel in losem Abstand hintereinander, erstaunliche Beziehungen ergeben sich, zwischen den einzelnen Ebenen und auch den Schattenwürfen.
Denn Rolf Nikel gestaltet Raum: Raum als Bewegung gedacht, ein Raum der aus Richtungen, Dynamiken, Kräften, Spannung entsteht, und als Struktur erfahrbar wird. Ein Raum, der sich in der Wahrnehmung ständig verändert, ein Raum, in dem der Schattenwurf als sichtbares Bildelement mitgedacht wird.
Rolf Nikel täuscht uns gewaltig! Er zeigt uns etwas von der Natur des Quadrates, von der Natur der Farbe, von der Natur der Bewegung und arbeitet im wahrsten und im übertragenen Sinn an der Quadratur des Kreises, also am Unmöglichen. Er erzählt von der Bewegung im Quadrat und bewegt damit die Grundform selbst, er rückt die Handlung und den Körper in den Mittelpunkt, er formt Plastisches und bleibt doch in den engen Grenzen der Zweidimensionalität. Er täuscht uns starke Strukturen vor, Verknotungen von Fischernetzen, Takelagen alter Segelschiffe und er fängt unseren Blick damit ein. Er zeigt uns die plastische Idee der Linie, wie sie sich wölbt und mit anderen kreuzt, wie sich Linien ineinander verschlingen, dicht oder luftig leicht werden, wie sich der Zwischenraum entfaltet, wie sie die Fläche teilen und neu organisieren, wie sie Symmetrie andeuten und doch unterwandern, wie sie die Gesetze außer Kraft setzen können, oben und unten rechts und links spielen keine Rolle mehr. Man soll seine Werke sogar drehen und wenden wie man möchte.
Rolf Nikel lotet den Spielraum zwischen freier und streng gebundener Form aus. Er lotete den Übergang von der Fläche zum Raum aus. Er arbeitet geometrisch abstrakt ja! Aber er unterwirft sich nicht der Geometrie, mit ihren Einheiten, sondern er stellt seine eigenen rudimentär exakten, verwilderten Masseinheiten her. Er zeigt uns, sich innerhalb von Grenzen frei zu bewegen.
Und wenn wir in seinen blauen Farbraum eintreten, erfahren wir unmittelbar, was Farbe auslösen kann. Es ist ein kleiner Raum im kleinen Raum, aus durchscheinenden papierenen Wänden gestaltet. die mit seinen Fingern gemalten Strukturen verwirren. Der kleine Raum wird ganz gross, er weitet sich, er verändert sich, er geht in die Länge, er dehnt sich. je nachdem, ob wir uns auf den Farbeindruck einlassen, die Farbe, von der wir umhüllt sind oder mehr auf die wellenartigen Strukturen eingehen, verändert sich unsere Empfindung und Wahrnehmungsweise.
Geschickt greift Rolf Nikel die kinetische Kunst z.B, eines Pol Bury aus den 70 Jahren des letzten Jahrhunderts auf, oder stellt Bezüge zum action painting her.
Kazuo Shiraga schuf die ersten "Fuß"-Malereien, während er an einem von der Decke herabhängenden Seilen hing. Ging es damals darum, den Kunstbegriff zu erweitern, indem man sich von den herkömmlichen Materialien und Techniken verabschiedete. All diese Ansätze fliessen in die Kunst Rolf Nikels ein, sie sind die Voraussetzungen seiner Kunst; Nikel geht jedoch und fast möchte ich sagen einen Schritt zurück; ganz bewusst, er verkleinert den Spielraum auf die natürlichen Grenzen seines Körpers, auf wenige Materialien und Formen. Er nimmt Bezug auf fundamentale Gesetzmässigkeiten und individualisiert sie. Er greift sich widersprechende Positionen der Kunst auf, die unvereinbar miteinander scheinen. Action painting auf der einen Seite und Konkrete Kunst auf der anderen Seite - Rolf Nikel integriert beides; er bringt zusammen, was nicht zusammengeht und arbeitet damit an der Ein- und Ausgrenzung.
Individuelle Handschrift und serielle Arbeitsweise
Ruhige in sich geschossene Formen und die Dynamiken der freien Bewegung,
Dreidimensionale Räume und doch geschieht alles nur auf der Oberfläche.
Rolf Nikel gestaltet den Widerspruch und hebt ihn damit auf. Kraftvoll aber sanft verschiebt er die Grenzen festgeschriebener Positionen und Gesetzmässigkeiten. An den neuen Ufern wirft er seine Netze aus und fängt uns mit Leichtigkeit ein. |