Ouvertüre

Radierungen für WOGA (offene Ateliers)

 

Hauptteil

Arbeiten vor Ort (innerhalb von drei Tagen)
Flammrußzeichnungen

Vor Ort im „Ort“ in Wuppertal



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
     

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vor Ort im „Ort“ in Wuppertal

 

Rolf Nikel-Eröffnungsrede, „Ort“, Wuppertal
Erik Schoeneberg (Kunstverein Wuppertal)

Der erste Eindruck, den ich in diesem Raum angesichts der Installation der
Zeichnungen von Rolf Nikel hatte, war sehr konkret: Sie schien mir klar, vertraut;
sie stiftete ein angenehmes Gefühl, ohne dass ich sagen konnte, warum oder wie
diese Arbeit dieses Gefühl auslöst. Auch deshalb nicht, weil die Arbeiten keinerlei
abbildliehe Zuschreibungen erlauben. Es könnte Spaß machen, aber wenig
Erkenntnis bringen, von Wolkenformationen, Tausendfüßlern oder Drachen zu
sprechen, anders gesagt, trotz - oder gerade wegen - der Unmöglichkeit den
Formen gegenständliche Begriffe aufzuoktruieren -stiftet die Installation eine
Selbstverständlichkeit. Aber wie kommt diese zustande?

Ein erster Grund liegt darin, dass die Zeichnung nicht etwas abbildet. Keine Illusion oder illusionistische Darstellung von Gegenständen lenkt hier von der Wahrnehmung ab. Im Gegenteil, sie ist im besten Sinne realistisch. Sie behauptet / nichts, sondern zeigt konkret ihre Mittel auf. Dies ist eine wesentliche Grundlage des zeichnerischen Prozesses von Rolf Nikel, so einfach und konkret wie möglich zu arbeiten: Seien es Abfallstücke einer Holzproduktion, die aufgeschichtet werden, Blätter, die während der Arbeit draußen auf das Blatt fallen oder, wie hier: Ruß, der mit den Füßen aufgetragen wird.

Es lässt sich nicht vermeiden, darüber zu sprechen, wie die Zeichnungen
entstehen, aber auch davon sollten wir uns nicht  täuschen lassen: die Tatsache,
dass Rolf Nikel einem Schornsteinfeger extra Flammruß abschwatzt, der bei
schlechter Verbrennung entsteht, dass er sodann mit einem Overall bekleidet und
nackten, bald schwarzen Fußsohlen über das Papier fegt, ist zwar eine nette
Geschichte, spielt als Aktion aber keine Rolle. Es geht ihm nicht um den Effekt. Es
handelt sich vielmehr um Werkzeuge, mit denen er ein gewünschtes Ergebnis erzielen kann. Zum einen erlaubt etwa der Flammruß ihm, ein dunkles Schwarz und eine Plastizität zu erzielen, die so mit anderen Farben kaum möglich wäre.

Zum anderen ist das Arbeiten mit dem eigenen Körper einerseits ein Einfaches
und konkretes Mittel, andererseits erlaubt der Vorgang eine Strenge (wie Rolf
Nikel sagen würde) eine einfache Grundstruktur, innerhalb derer unzählige
Variationen möglich sind, und die hier aus dem Schrittmaß des menschlichen
Körpers und den möglichen Drehungen entstehen. Schließlich entsteht durch den
Körper und seine Bewegungen ein Rhythmus, der die gesamte Zeichnungsinstallation, mithin den ganzen Raum, prägt und in Bewegung versetzt. Dieser, an den Körper gebundene, und Rhythmus, ist der erste Grund für das eingangs beschriebene Gefühl.

In einem zweiten Schritt schneidet Rolf Nikel die Formen aus und bildet daraus zusammenhängende Formen, anders gesagt, bildet er aus den einzelnen rhythmischen Mustern Gebilde, die durch verschiedene Dynamiken, Richtungen und Intervalle bestimmt werden. Ich denke, der Blick auf die vier, Gebilde in diesem Raum macht dies sofort deutlich (Richtung nach hinten ausgreifend oder schlängelnd, in Bögen etc.), wodurch unterschiedliche Charakteristika entstehen. Die Wahrnehmung der Charakteristika und Motive ist er zweite Grund für mein Gefühl.
 
Im letzten Schritt werden -bei der Hängung -die Formen zueinander und vor allem in Bezug zu dem Raum gesetzt. Erst in diesem Prozess entsteht das eigentliche Werk. Schließlich geht es nicht darum ein Bild an die Wand zu hängen, was, womöglich noch gerahmt, die Wand zu einem Bildträger degradiert. Die Zeichnungen von Rolf Nikel sind darauf angelegt, erst dann vollständig zu werden. Erst dann entsteht, ein Verhältnis von Figur und Grund, welches sich aber hier nicht nur mit der Wand als Hintergrund, sondern mit dem gesamten Raum verschränkt. Und auch das ist einfach augenscheinlich. Vor allem hinsichtlich der lebendigen und dreidimensionalen Erscheinung der Installation.
 
Ich habe diesen Prozess auch als eine Form von Choreografie verstanden, d. h. die einzelnen Muster als Notationen, und das Schreiben einer körperlichen Bewegung, die sich im Raum entfaltet. Die gewählten Parameter, wie das Material und der Raum, schaffen Strukturen, zu denen sich Rolf Nikel bewegend und wahrnehmend, eigentlich forschend verhält. Dass er sein Forschen in eine Handlung umsetzt, ist der eigentliche künstlerische Prozess. Kreativität heißt ja nicht -eigentlich unnötig, dass hier in zu sagen -Beliebigkeit, sondern aus dem freien Handeln eine Komposition, mithin eine Einheit herzustellen. Mit anderen Worten, für den Prozess zu übernehmen.
 
Am Ende entsteht durch einfache Mittel und Vorgangsweisen ein äußerst komplexes Zusammenspiel, was sich nicht auf einen Blick erfassen und auch nicht durch die beschriebenen Einzelschritte verstehen lässt. Was beginnt mit einer kaum sichtbaren Linie, die durch das Zusammenkleben der Papiere als geometrisches Raster sichtbar wird, führt am Ende zu Ergebnis, dass die Wahrnehmung ohne Ende herausfordert. Deshalb auch die anfangs konstatierte Sprachlosigkeit.
 
Die Wahrnehmung der Arbeit lässt sich nicht auf ein Sehen oder Anschauen reduzieren. Die Vorgänge, die ich einzeln beschrieben habe, verbinden sich mit der Atmosphäre des Raumes, mit der konkreten Situation vor Ort und mit meinen subjektiven Empfindungen, und sind damit ein unmittelbarer und individueller Bewusstseinsvorgang. Das Rolf Nikel um diese Kraft weiß, zeigt eine Arbeit von 1992. Hier zeichnete er am Steuer eines Frachters eine 1,5 km Linie in eine 15 cm dicke Eisschicht des Polarmeers. Diese Arbeit kennzeichnet in nuce, was die Faszination und der entscheidende Faktor seiner Arbeit sind: ein Erlebnis zu sein.